Valentinstag für alle (die Freunde haben)

Letzten Sommer bekam ich ein Foto von einer Freundin geschickt. Es zeigte eine Valentinskarte, die ich vor genau 16 Jahren selbstgebastelt hatte. Beim Ausmisten fand meine Freundin sie in einer Kiste zusammen mit anderen Grußkarten. Warum wusste ich so genau, von wann die Karte stammte? Und warum war sie bei einer Freundin aufgetaucht? Bevor ich Bekanntschaft mit Kalifornien und mit den Kaliforniern machte, hatte ich keine allzu hohe Meinung vom Valentinstag und hielt ihn für nichts besseres als eine lästige Werbeveranstaltung des Grußkarten- und Pralinengewerbes. 

Und dann bot sich mir im Februar 2007 die Gelegenheit, diesen Feiertag ganz neu zu betrachten. Damals tingelte ich als Honorarkraft für Deutsche Sprache und Kultur durch’s Silicon Valley und arbeitete für einige Wochen bei Yahoo Answers. Mein Büro lag direkt am Great America Parkway und nebenbei führte mich diese Internetfirma der ersten Stunde auch in die groß(artigen) Gepflogenheiten (dieser bestimmten Region) Amerikas ein. Es gab zum Beispiel ein firmeninternes Café, wo sich jeder und jede, auch Honorarkräfte, nach Lust und Laune und ganz für umsonst die ungewöhnlichsten Kaffeegetränke bestellen konnte, die dann vor den Augen aller von erfahrenen Baristas zubereitet wurden. Und in der Woche vor dem Valentinstag – oder vielleicht auch direkt am Valentinstag, so genau kann ich mich dann doch nicht mehr erinnern –  lud man dort zum Valentinskartenbasteln ein. Für jeden und jede, auch die Honorarkräfte, stand Bastelmaterial bereit: Schere, Klebe, Buntpapier, Stifte, Blümchen und Herzchen und andere ausgestanzte Verzierungen; man konnte wirklich aus dem Vollen greifen und sich kreativ austoben. 

Und eben nicht nur die eine Karte für die eine Person erstellen, die einem am Herzen lag, sondern für alle. “Best Friends” steht auf meiner Karte an die Freundin, die zumindest damals noch nicht zu meiner allerbesten Freundin aufgestiegen sein konnte; aber der Superlativ passte ganz wundervoll zur exaltierten Stimmung des Great America Parkway. Ich erinnere mich noch gut, wie niedlich ich es fand, mitten während der Arbeit zum Basteln aufgemuntert zu werden. Es hatte etwas extrem Verspieltes, dieses Silicon Valley der guten alten Zeiten. Natürlich ging es immer auch darum, die Angestellten (und die Honorarkräfte) an sich zu binden, aber eben lieber mithilfe von Baristas und Basteltischen. Zu anderen Jahreszeiten habe ich später Kekse für Halloween verziert oder Kürbisse zu Fratzen geschnitzt. Aber die Gepflogenheit, Valentinskarten nicht nur an eine Person, sondern an alle zu schicken, die einem am Herzen liegen, haben sich nicht die Strategen des Valleys ausgedacht, die gibt es schon länger und die ist auch weiter verbreitet als dieses Tal reicht. Ich habe mich sehr gerne mit ihr angefreundet. Sie war mir gleich sympathisch. Wir sind sozusagen Best Friends, die Valentinskarte für alle und ich.

This entry was published on February 14, 2024 at 5:33 pm and is filed under Erinnern, Silicon Valley at its best. Bookmark the permalink. Follow any comments here with the RSS feed for this post.

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