Der Geschmack von Sommer

Als der Herbst kam, fingen meine Kirschtomaten noch einmal kräftig zu blühen an. Und schon bald konnte ich an einigen Zweigen klitzekleine grüne Früchte entdecken. Als ich Ende November unerwartet für mehrere Wochen nach Deutschland reisen durfte, fiel mir der Abschied von meinen Tomaten besonders schwer. Sie waren mir ans Herz gewachsen. Da standen sie nun kurz vor meiner Abreise in voller Blüte.

So üppig hatten sie den ganzen Sommer nicht geblüht! Ich brachte es nicht übers Herz, sie einfach aufzugeben und bat meine Schwiegermutter, die Pflanzen während meiner Abwesenheit zu gießen. Als ich Anfang Januar zu ihnen zurückkehrte, waren sie über und über mit grünen Früchten behangen. Nach einigen schönen Sonnentagen färbten sie sich orange – und schmeckten nach Sommer. Es waren mehr Tomaten als das gesamte letzte Jahr!

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es möglich ist, im Winter Tomaten zu ernten, und schon gar nicht, wenn die Pflanzen die ganze Zeit draußen stehen. Nun gebe ich sie erst recht nicht auf und setze mein Experiment fort. Meine Tomaten und ich, wir haben ein ganz besonderes Verhältnis zueinander aufgebaut. Vielleicht wollen sie mich aufmuntern? Es tut mir gut, ihnen zuzuschauen. Sie finden einen Weg, auch im Winter zu blühen und Früchte zu tragen. Hängt es vom Klima ab, ob sie mehrjährig sind? Wer bestäubt sie? Brauchen sie Bienen oder andere Insekten dafür? Oder können Kolibris diese Arbeit verrichten? Mir fällt auf, wie wenig ich wirklich über sie weiß.

Letzten Frühling hatte ich mir neue Pflanzen auf dem Biomarkt ausgesucht und mir vorgenommen, sie ganz genau zu beobachten und von ihnen zu lernen. Ausnahmsweise mal keine Bücher lesen, sondern einfach hinschauen und sehen, was passiert. Experimentieren. Durch Beobachten lernen, was meinen Pflanzen gut tut. Hinterm Haus ist die Zitronenverbene viel üppiger gewachsen als all die Jahre zuvor vor dem Haus und auch die Tomaten sind regelrecht aufgeblüht. Mehr Sonne, mehr Licht, mehr Leben? Könnte sein. Nun sehe ich, dass sie auch im Winter Früchte tragen können, zumindest im kalifornischen Winter des Valley of Heart’s Delight. Tieforange. Mit dem Geschmack von Sommer.

This entry was published on February 17, 2024 at 5:41 pm and is filed under Silicon Valley at its best, Unerschlossene Forschungsgebiete, Was ich esse. Bookmark the permalink. Follow any comments here with the RSS feed for this post.

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